24 Stunden durch die Grüne Hölle - der Langstreckenklassiker im Rückblick

Sie reisen hier nicht an, sie pilgern zum Ring. Tausende, hunderttausende Besucher jedes Jahr. Doch sie sind nicht einfach so Besucher, das hier hat eine ganz andere Qualität. Für diesen Termin wird ein Jahr im Voraus Urlaub genommen, Flüge gebucht,  Termine koordiniert, Himmel und, ja buchstäblich, die Hölle in Bewegung gesetzt um dabei zu sein:

Das 24h Rennen 2015 - 
die Grüne Hölle läßt bitten 
Montag 9.00 Uhr öffnen die Campingplätze rund um die Nordschleife und den härtesten unter den harten Fans wird Einlass gewährt. Was sie für diese Woche "zelten im Wald" mitbringen, spottet jeder Beschreibung. Es werden eigene Tribünen gezimmert, provisorische Outdoorküchen installiert, sogar Whirpools wurden schon an der Strecke gesichtet. Funktionsbereit, selbstverständlich.

Für tausende Fans ist es DAS Urlaubshighlight des Jahres. Dabei uß man wissen: An der Nordschleife werden die Plätze nicht verkauft, sondern teilweise regelrecht vererbt. Man trifft sich jedes Jahr mit Freunden und Nachbarn in der kleinen Zeltstadt am Pflanzgarten, Kesselchen, Brünnchen oder am Karussell. Jedes Jahr, teilweise seit Kindertagen.
Und die Fans hier werden durchhalten, egal ob Petrus mit Regen, Schnee oder 30 Grad aufwartet. Wobei 30 Grad hier schon lange nicht mehr gemessen wurden, jedenfalls nicht in den Tagen des 24h Rennens.
Dienstag: Nach und nach bevölkern sich die Hotspots entlang der Nordschleife.
Mittlerweile wird auch auf der anderen Seite des Zauns gewerkelt und sich häuslich eingerichtet: Die Marshalls beziehen ihren Posten.
Selbst unter den Sicherheitsprofis ist das Rennen DER Pflichttermin schlechthin, ein Mussss im Kalender, auch unter ihnen genießt die Veranstaltung einen Ruf wie Donnerhall. Nicht wenige der Streckies kommen extra für den Langstreckenklassiker aus Australien, Norwegen oder England.
Der King vom Ring muß ein Strecki sein!
800 Streckenposten arbeiten während des Rennens im Schichtbetrieb an der Nordschleife und am Grand Prix Kurs. Retten, absichern, Meldung machen an Rennleitung und Leitstellen. Der Urlaub richtet sich nach dem Rennkalender, beim 24h Rennen nicht auf Posten zu sein - undenkbar!
Mittwoch: Im Fahrerlager schlägt bis Mittwoch die Stunde der Zeltbauer, Lieferanten und Logistiker. Die Hauptakteure beziehen die Boxen, Rahmenrennserien müssen eingewiesen, temporäre VIP-Unterkünfte errichtet werden. Tausende Kilometer Kabel werden verlegt um Zeitnahme, TV-Übertragung und externe Stromversorgung zu gewährleisten.

Ein Ameisenhaufen ist leichter zu überblicken als das Fahrerlager des Nürburgrings vor dem 24h Highlight. Dennoch läuft alles nahezu reibungslos. Profis am Werk.
Fahrer reisen an, werden auf B2 willkommen geheißen, parken ihre Motorhomes, treffen die Kollegen, tauschen erste News aus. Man nächtigt hier direkt auf dem Campingplatz, kaum jemand schläft im Hotel.

Die Parkplätze füllen sich. Auf dem Boulevard kehrt Leben ein. Automobilhersteller beziehen ihre Promotion-Areale, die Fanshops werden mit der neuen 24h-Fankollektion bestückt.
Der Ring brummt, summt, beginnt zu pulsieren....
Und dann schmeißt der Erste den Riemen auf die Orgel! Aus der ersten Box dröhnt ein SP9 Bolide. Es geht los!
Donnerstag: Alle Ampeln auf Grün. Geschäftigkeit hält Einzug. Jetzt gilts!
Man ist schließlich nicht zum Spass hier. Die Trainings laufen. Abstimmungsarbeit, Reifenpoker, Wetterbeobachtungen....
Der Kenner grinst.
5 Fahrzeuge in einer Box. Damit muß man hier klarkommen. Die Boxenstops sollten koordiniert sein, damit man sich nicht in die Quere kommt. Hier sind keine Amateure am Start, auch wenn es viele Privatteams gibt. Mit wenig Budget bestreiten viele der 170 startberechtigten Teams das Rennen, doch Anfänger ist hier niemand. Mit größter Sorgfalt geht es ans Werk. In jeder Klasse gibt es Favoriten, kämpft man ums Ankommen, erhofft sich einen Platz auf dem Podium, träumt vom Sieg.
Donnerstag Abend - Nachttraining.
Im Dunkeln durch die längste und anspruchsvollste Rennstrecke der Welt. Eine Herausforderung, selbst für die Cracks der Szene. Ein Spektakel für die Zuschauer.
Die gelben Scheinwerfer der Top-Fahrzeuge und die fluoreszierenden Startnummern machen es übersichtlicher sich in der Nacht zu orientieren, wenn man mal nicht Radio Nürburgring im Ohr hat. Aber wer muß schon etwas sehen?! HÖREN ist spektakulär genug.

Der Sound der Boliden...das Schnurren eines Cup-Fahrzeugs und dann der Manta! Er hat seine ganz eigenen Fans. Startet seit Jahren mit Sondergenehmigung, weil er längst nicht mehr dem technischen Regelwerk entspricht. Aber Manta ist Pflicht. Fuchsschwanz sowieso. Manchmal stehen Fans vor der Box mit einem Ersatz-Fuchsschwanz in der Hand, da hat man beim Team noch nicht mal bemerkt das das Accessoire im Renngeschehen abhanden gekommen ist... Die Profis glühen durch die Nacht, die Fans feiern.
Am Freitag starten die Rahmenrennen der historischen Rennfahrzeuge und auch das Top 30 Qualifying wird ausgefahren. Einzeln starten die Topteams zur fliegenden Runde, auf der Jagd nach der Pole. Das blaue Licht hat man da schon errungen  =, Kennzeichen für die Schnellsten unter den Schnellen.
Pole! BMW darf jubeln. Doch was heißt das schon - 10 Meter vor den anderen zu stehen, wenn das Rennen über 24 Stunden geht?
Wird sich herausstellen... am kommenden Nachmittag um 16 Uhr.

Spätestens ab 21 Uhr stellt sich dann einigermaßen Ruhe ein, jedenfalls auf der Strecke. Man sitzt noch einmal in Ruhe zusammen, trifft sich in der Pistenklause zum Abendessen - speziell am Freitag Abend der Hotspot für Fahrer, Teamchefs und Industrievertreter.
Einen Tisch zu bekommen, nahezu unmöglich. Wen der Wirt nicht auf dem "Zettel" hat, weil er einfach immer kommt am Freitag, der hats schwer an diesem Abend.
Samstag: Endlich! Sonnenaufgang! Renntag! Das Fahrerlager ist gerammelt voll.
Aktive, (Edel)-Fans und Gäste schieben sich durch die Gassen - vor und hinter den Boxen. Die drei Gruppen von einander zu unterscheiden ist nur auf den ersten Blick schwer:
Neulinge erkennt man sofort: Die Herrschaften in "Zivil". Es wurden sogar Herren in KURZER (ja, der geneigte Eifel-Kenner kann es kaum glauben), in kurzer Hose gesichtet.😲
Hier trägt man seine automobile Gesinnung am Leibe, in Form von Jacken, Caps, sogar Schuhe mit dem Logo des favorisierten Rennstalls gibt es.

Edel-Fans haben selbstverständlich neben dem passenden Kleidungsstück auch das VIP-Bändchen parat, schließlich erleichtert das den Zugang zur Hospitality enorm.
Die weiblichen Edel-Fans von Mitarbeiterinnen der Teams und Offiziellen zu unterscheiden ist noch einfacher: Nur Gäste haben eine Handtasche dabei. Tödlich als Aktive. Man hat alles "am Mann", also in der Jacken- oder Westentasche, am besten in sowohl-als-auch, schließlich zieht es gewaltig in der Boxengasse, da ist der Look Daunenweste-über-Softshelljacke ein guter Plan. Ach ja, ich empfehle Stiefel. Plateau-Stiefel. Auch wenn der Kalender behauptet es sei Juni.
Der Vormittag rauscht nur so an allen Beteiligten vorbei. DasWetter ist so lala, eben wie immer. Die Besucher vertreiben sich die Zeit mit der Tourenwagen WM oder der Drift Challenge. Bald...,bald wird es richtig Ernst!
Auf einmal geht alles ganz schnell: Ein Rudel Intervention Cars sammelt sich an der Tankstelle. Ein untrügliches Zeichen. Jetzt läuft der Count Down. Auf der Nordschleife läutet der Korso die Startphase ein. Die Teilnehmerfahrzeuge rollen in die Startaufstellung und diese füllt sich zusehends mit den Glücklichen die vor Ort sein dürfen.
Man flaniert durch die Startreihen der drei Start-Gruppen. Vorbei an plauschenden Fahrern, Interviews, strahlenden Grid Girls, den PR-Aktionen der Industriepartnern, sogar ein DJ-Set wird gespielt. Eine beeindruckende Perspektive bietet sich uns, mitten im Gewusel, mit Blick in die Boxengasse - allerdings von Start/Ziel aus.
Wer sieht das schon einmal von hier aus?!
In den Top 10 angekommen geht fast nichts mehr. Jedenfalls nichts mehr nach vorn. Letzte Reifenstapel werden angekarrt, durch die staunende Menge, es geht hier schließlich um was, nicht zu sagen um Alles. Da will jeder sofort reagieren können, falls Petrus doch noch auf Regen umschaltet bevor die Ampel grün wird.
5 Minuten - Zuschauer raus! Die einsamsten Minuten der Rennfahrer nahen: 3 Minuten - Helfer raus! Jetzt sitzt der Startfahrer festgezurrt und ganz Mutter-Seelen-allein im Auto.
Alle weg, alles hängt es nur noch von ihm ab.
Die Gruppe setzt sich in Bewegung- auf in die Einführungsrunde. Das Official Car fegt vornweg, die Meute hinterher. Der Jubel entlang der Nordschleife nimmt kein Ende, das Rennfieber grassiert.
Fliegender Start! Alle kommen gut durch die ersten Kurven. Wir drücken die Daumen für alle Starter, das kann jeder gebrauchen.
Das Feld sortiert sich in einer stressigen Anfangsphase. Wie in den vergangenen Jahren wird gefahren als wäre es ein Sprintrennen. Die ersten Stunden sind nervenzehrend, hinter dem Lenkrad, wie in der Box.
Die Nacht bricht herein und die Stunde der absoluten Cracks an der Nordschleife schlägt. Alle Teams setzen ihre erfahrensten Piloten hinter das Steuer, um das Auto gut in die Nacht zu bringen, jetzt werden die Weichen gestellt! Nicht unbedingt für den Sieg, aber immerhin um im Spiel zu bleiben.
Die Ausfallquote ist hoch. Jeder Fan, egal ob im Zelt am Brünnchen, oder in einer VIP Lounge, hat das Ohr am Radio, die Augen auf der Anzeigentafel oder auf dem Laptop. RPR 1 Radio Nürburgring hält alle auf dem Laufenden.
Viele Fans müssen jetzt stark seien. Auch ich muß den Ausfall meiner Favoriten verkraften.
Sabine Schmitz -> raus, noch vor Mitternacht.
Schubert Motorsport raus mit beiden Autos, das Aus auch für Claudia Hürtgen.
Scheid raus.
Die Grüne Hölle wütet. Technische Defekte, Unfälle, sogar eine Kollision mit einem Hasen führen zu einem immer lichter werdenden Feld. Feuer in der Boxengasse. Nichts passiert - weiter gehts! Die Nacht wird lang.
Lagerfeuer und glühende Bremsscheiben illuminieren die Nordschleife. Die Fahrer berichten von schwierigen Bedingungen und Öl auf der Strecke, vom Duft der Grillwürstchen und der unglaublichen Atmosphäre da draußen, die selbst zu ihnen ins Cockpit durchdringt.
In der Boxengasse taucht die Flutlichtanlage alles in gleißendes Licht. Autos werden abgefertigt und wieder auf die Reise geschickt. Fahrerwechsel und kurzes Briefing was den Kollegen da draußen erwartet. Manch Bolide steht jetzt in der Box, wird eifrig repariert. Sogar Privat-PKWs werden zu Ersatzteilspendern, Hauptsache wieder ins Renngeschehen eintauchen und ankommen! Supersportwagen ereilt das gleiche Schicksal wie seriennahe Cupfahrzeuge - 24hNBR gilt nicht umsonst als das härteste Rennen der Welt.
Sonntag: Und irgendwann geht auf einmal die Sonne auf und so mancher muss sich im gleißendem Licht der Morgensonne der harten Realität stellen....
Die da allzu oft lautet: Ausfall. Technischer Defekt. Unfall.
Jedes dieser Worte ein Schlag in die Magengrube.
Für die Fahrer, das Team und die Fans der Truppe.
Was noch gegen Mitternacht so gut aussah, mitunter sogar nach Sieg, vielleicht sogar nach Gesamtsieg und Erfüllung eines Lebenstraums - stellt sich im Morgengrauen als bittere Niederlage heraus. Die Grüne Hölle behauptet sich einmal mehr als Sieger, nur wenigen Glücklichen gibt sie sich geschlagen.
Die letzten Stunden laufen. Wer es bis hierher geschafft hat, der will nur noch ankommen.
Heil die Zielflagge sehen, und dann schauen was in der Ergebnisliste steht. Jetzt werden die letzten Kräfte mobilisiert. Das Auto, was vielleicht seit Stunden in der Box steht, wird mit den letzten Reserven doch noch einmal ins Rennen geschickt, wie bei Scuderia Cameron Glickenhausen. Die Boxencrew schiebt den SCG 003 an, fast bis ans Ende der Boxenstraße, und sie schaffen es wirklich doch noch den Boliden zum anspringen zu bewegen - Applaus in der Boxengasse!

Jeder hier kann nur zu gut mitfühlen wie es ist anzukommen, oder eben eingestehen zu müssen das es dieses Mal nicht gereicht hat. "Nächstes Jahr"- das meist gehörte Statement in diesen Stunden. 16.00 Uhr, der Sieger steht fest.
Audi gewinnt den Eifelklassiker, gefolgt von BMW und Porsche.
Jubel, Flitterregen, Siegerehrung.

Man blickt in müde Augen, wohin man schaut. Einpacken und schlafen! Schlafen und dann beginnen die Vorbereitungen für das nächste 24h Rennen. Urlaub muß eingereicht werden, die Anreise geplant, Catering und Gästelogistik organisiert, der Schichtplan für die unzähligen Helfer geschrieben werden. Nächstes Jahr, 24h Rennen 2016. Und dann beginnt alles von vorn, wenn an einem Montag um 9.00 Uhr die Zufahrten der Campingplätzen öffnen....

Fotos: Gruppe C GmbH via ADAC Nordrhein PR , CityLightsBN